Wer den legendären amerikanischen Öl-Magnaten Jean Paul Getty vor rund 50 Jahren fragte, wie er der reichste Mann der Welt werden konnte, bekam eine relativ pragmatische Antwort: „Steh früh auf, arbeite bis abends, finde Öl.“

Abhängigkeit von Erdöl-Importen beendet
Dieser Vorsatz des Privatmanns Getty ist längst zum Mantra US-amerikanischer Regierungen geworden. Seit 2017 sind die USA das Land auf der Welt, das am meisten Erdöl fördert. Im September 2019 exportierte die Nation unter Donald Trump zum ersten Mal mehr Erdöl als in das Land eingeführt wurde. Den Vereinigten Staaten gelang es damit, sich aus einer Situation zu befreien, in welcher der Rohstoff vom OPEC-Kartell immer auch als „Drohstoff“ missbraucht wurde.

USA vor neuem Fracking-Boom
Möglich macht dies die starke Zunahme der amerikanischen Schieferölproduktion. Diese auch als Fracking bekannt gewordene Fördermethode führte in der Vergangenheit bereits phasenweise zu einem weltweiten Überangebot. Nach dem Erdöl-Preisverfall im Jahre 2014, mit damit einhergehender Drosselung der Schieferölproduktion, verdichten sich nun die Zeichen, dass ein Fracking-Boom 2.0 zu erwarten ist. Wie das Department of Energy (DoE) letzte Woche verlauten ließ, werde man sowohl die Schieferöl- als auch die Schiefergasproduktion in den kommenden Jahren weiter steigern.

US-Ölproduktion legt deutlich zu
Dass die Worte der Amerikaner Substanz haben, beweisen Zahlen, nach denen die Rohölproduktion in den USA in diesem Jahr bis April um 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist. Der Anstieg, der zum Teil auf eine verbesserte Produktionseffizienz zurückzuführen ist, deutet nach Einschätzung von Analysten darauf hin, dass die Macht der OPEC+, die Preise zu kontrollieren, stärker als zuvor angenommen, schwinden könnte.

Einfluss der OPEC könnte schwinden
Auch diese These ist durch Zahlen untermauert. Denn die OPEC und ihre Mitgliedsländer haben in diesem Jahr zwar bislang Förderkürzungen in Höhe von etwa 6 Prozent der letztjährigen Produktion angekündigt. Allerdings wird Brent-Öl mit rund 78 US-Dollar pro Barrel gehandelt, was einem Rückgang von rund 10 Prozent gegenüber dem Jahresbeginn entspricht. Nach Schätzungen von Fachleuten machen die Produktionssteigerungen in Ländern außerhalb der OPEC etwa zwei Drittel der Förderkürzungen des Kartells aus.

Neue Technologien machen Fracking rentabler
In der Anfangsphase des Frackings glaubte man, dass Fracking bei einem Erdölpreis unter 80 US-Dollar pro Barrel unrentabel sei. Doch inzwischen rechnet sich die Abbaumethode auch bei einem Ölpreis von unter 60 US-Dollar pro Barrel. Jean Paul Getty müsste heute nicht mehr von früh morgens bis spät abends auf seinen Ölfeldern unterwegs sein. Dank cleverer technischer Effizienzmaßnahmen können Schieferölproduzenten mit einem Ölpreis von 42 US-Dollar pro Barrel genauso viel verdienen wie vor neun Jahren bei einem Ölpreis von 86 US-Dollar pro Barrel.

Inlandspreise 
Für die Verbraucherinnen und Verbraucher im Bundesgebiet fallen die Preisbewegungen am Dienstag bislang moderat aus. So kosten 100 Liter Heizöl heute im Durchschnitt etwa -0,50 bis +0,35 Euro gegenüber dem Vortagesschluss am gestrigen Montag.